C. Ende des Lebens

Der Tod beendet nicht nur das Leben, mit dem Tod ist das Leben des Menschen vollendet. Es liegt nicht im Ermessen eines Menschen, darüber zu entscheiden, wann ein Leben vollendet ist. Das heißt aber, der Mensch darf nicht nach eigenem Gutdünken seinen eigenen Tod oder den Tod eines anderen herbeiführen. Dies liegt den Strafgesetzen über den Tod zugrunde und war schon Gegenstand des hippokratischen Eides.

Die Frage ist, kann ein Leben vollendet sein, wenn der Tod durch Gewalteinwirkung zustande kam? So wie das Requiem von Mozart oder das Straßburger Münster vollendete Kunstwerke sind, obwohl diese Kunstwerke unzeitig beendet wurden, ist das menschliche Leben, auch wenn es durch Gewalt vorzeitig beendet wurde, vollendet. Die Würde des Menschen ist zu jeder Zeit seines Lebens einzigartig und wird durch den Tod (natürlich oder gewaltsam) nicht zu einem Fragment. Es bleibt aber das Problem der Schuld am Tod.

Wird der gewaltsame Tod ohne Mitwirkung von Menschen verursacht, zum Beispiel durch Naturkatastrophen, Infektionen oder Herzinfarkt, ist er der Macht des Schicksals zuzuschreiben. Damit ist der Sinn des gewaltsamen Todes unserem Begreifen und Verstehen entzogen. Es bleibt nur der Glaube, dass diese Macht letztendlich die Allmacht Gottes ist. Oder sind Katastrophen, wenn auch indirekt, nicht oft genug durch Menschen selbst verursacht (z.B. durch mangelnde Voraussicht oder mangelnde Einsicht)? Vielleicht sind wir gerade dabei, durch die Entwicklung der
Gentechnik neue unbekannte Katastrophen zu kreieren, sowohl in der Biosphäre als auch bei uns selbst in der Noosphäre.

Wird der gewaltsame Tod durch einen Menschen verursacht, hat dieser Mensch den Tod zu verantworten. Diese Verantwortung unterliegt den von der Gemeinschaft erlassenen Gesetzen basierend auf bestehenden ethischen Normen. Eine Schuldzuweisung erfolgt im Rahmen dieser Gesetze. Unabhängig davon entscheidet das Gewissen des Täters über seine Schuld. Dieses Gewissen ist mitgeformt durch alle die Einflüsse, die diesen Menschen zu dem Menschen gemacht haben, der er ist. Die moderne Medizin zusammen mit der Fortentwicklung der allgemeinen Gesundheitsfürsorge ermöglicht das hinausschieben des
Sterbenmüssens, macht aber das Sterbenkönnen zum Problem.

Früher wurde der Tod mit dem Ausfall von Kreislauf und Atmung festgestellt. Dies führte unter Umständen zum beängstigenden
Scheintod (vita minima). Heute können diese Menschen, die früher für tot erklärt worden wären, mit Hilfe der Reanimation möglicherweise wieder ein normales Leben führen.

Wann der Tod wirklich eintritt, bleibt auch unserer hochwissenschaftlichen Zeit weiterhin verborgen. Nach dem Herzstillstand und damit dem Stillstand der Hirndurchblutung tritt innerhalb von 3-12 Sekunden Koma (Ohnmacht) ein, nach 30 Sekunden erlischt die bioelektrische Hirntätigkeit, nach 3-10 Minuten ist das Koma irreversibel.

Durch den Fortschritt der Medizin und der Technik tritt im Laufe einer Krankheit immer später der Fall ein, dass nichts mehr den Tod aufhalten kann. Die Erfolge der Medizin können nicht nur das Leben verlängern, sondern auch das Sterben. Damit wird aber auch das Leiden verlängert. Die Heilkunst kann das Sterben aufhalten, den Tod aber nicht beseitigen. Es muss deshalb immer bewusster entschieden werden, bis wohin der medizinisch-technische Aufwand sinnvoll ist. Neue Behandlungsmöglichkeiten benötigen vermehrte Verantwortung. Die Diskrepanz zwischen Handeln und Verantworten ist die Diskrepanz zwischen Technik und Ethik. Die Entscheidung über den Tod liegt beim Behandlungsabbruch nicht mehr beim Schicksal, sondern beim Behandelnden. Sie ist immer eine Entscheidung, die sich nach dem Patienten und seiner Situation richten muss, sie kann nicht nach starren Regeln oder Vorgaben erfolgen. Das Maß ist der Erhalt der Würde des Patienten.

Dieser Erhalt wird sinnlos, wenn der Patient durch die Behandlung nur noch ein lebender Automat wird, das heißt, dass medizinische Maßnahmen nicht das Leben, sondern das Sterben verlängern.
Papst Pius XII sagte dazu anlässlich des Ersten Internationalen Kongresses für Histopathologie des Nervensystems 1952: Der Mensch kann keine medizinischen - seien es psychologische, seien es somatische - Maßnahmen bei sich treffen oder an sich vornehmen lassen, die zwar eine Behebung schwerer physischer oder psychischer Beschwerden oder Hemmungen bewirken, gleichzeitig aber die dauernde Auslöschung oder eine dauernde enorme Herabminderung der freien Selbstbestimmung, das heißt der menschlichen Persönlichkeit in ihrer typischen und charakteristischen Funktion bewirken, die den Menschen also zu einem dressierten bloßen Sinneswesen oder zu einem lebendigen Automaten degradieren.

Ein Verzicht auf lebensverlängernde Maßnahmen darf nicht gegen den Willen des Patienten erfolgen und mit dem Einverständnis des Patienten nur dann, wenn anders eine unzumutbare Verlängerung des Leidens die Folge wäre. Leben erhalten ist eine zeitliche Maßnahme, Würde erhalten währt ewig.

Bei unsicherer Prognose und der Chance der Rückkehr des Bewusstseins ist zunächst die Maximaltherapie angezeigt.
In dubio pro vita - im Zweifel für das Leben. Hier kommt es vor allem auf das Wissen, Können und die Erfahrung des Arztes an (Ausbildung und Fortbildung). Die Entscheidung über einen Behandlungsabbruch, der zum Tod führt, sollte nie ein Einzelner treffen, sondern darüber sollte ein Konzil der Beteiligten (Ärzte, Pflegepersonal, Seelsorger, Angehörige) entscheiden.

Der Arzt, der den Tod des Patienten feststellt, hat die Angehörigen von dessen Tod unverzüglich zu benachrichtigen. Außerdem hat er den Totenschein auszustellen.

Behandlungsabbruch durch den Arzt ist erlaubt, wenn mit hinreichender Gewissheit die medizinische Aussichtslosigkeit erkannt wird und er nicht gegen den Willen des Patienten geschieht (
§ 16, Berufsordnung). Aufklärung und Information über die Folgen einer Behandlung oder Nichtbehandlung stehen im Vordergrund (Tod, Schmerz, Siechtum und so weiter.). Lehnt der Patient bei voller Kenntnis der Sachlage eine Behandlung ab, erlischt die Behandlungspflicht des Arztes. Dies gilt auch, wenn bei einem Bewusstlosen Patienten eine entsprechende schriftlich niedergelegte Erklärung (Patientenverfügung) vorliegt. Ist der Patient nicht mehr willensfähig, entscheiden seine Angehörigen für ihn, wobei der mutmaßliche Wille des Patienten die Leitlinie sein muss. Die Behandlungsablehnung durch den Patienten bezieht sich auf lebensverlängernde Maßnahmen, nicht aber auf die Leidens- und Notminderung durch den Arzt (Palliativtherapie: Schmerzbehandlung, Beruhigung, Depressionsbehandlung, psychotherapeutische Krisenintervention, Angst, Hygiene, Pflege, Flüssigkeits- und Nahrungsaufnahme).

Patientenverfügung (Patiententestament): Die Patienverfügung ist eine schriftlich niedergelegte Erklärung eines einsichts- und urteilsfähigen Menschen, dass er für den Fall eines in absehbarer schmerzvoll verlaufenden oder von großer Not begleiteten Sterbeprozesses, verbunden mit Bewußtseinsverlust oder -trübung, weder diagnostische noch therapeutische ärztliche Maßnahmen wünscht, die letztlich nur dazu dienen, sein Leben künstlich und schmerzvoll zu verlängern oder zu einem menschenunwürdigen Siechtum führen. Der Patient will mit der Patienverfügung (-testament) die Durchsetzung seines Rechts, in Würde sterben zu dürfen. Die Patientenverfügung ist kein echtes Testament. Es gilt nicht für den Todesfall, sondern für das Sterben. Es kann mit Maschine geschrieben sein oder ein Formular sein, muss aber mit Datum versehen sein und eigenhändig unterschrieben sein. Es kann von Jugendlichen ab 14 Jahren geschrieben sein. Tötung kann nicht verlangt werden. Die Entscheidung über die infauste (tödliche) Prognose muss eng gestellt werden. Der Arzt muss sich vergewissern, ob der Patient seinen Willen widerruft. Dabei gilt auch ein Zeichen mit den Augen - in dubio pro vita.
Die Patiententestament sollte in Abständen von etwa einem Jahr erneuert werden, da sich der Wille des Patienten mit der Zeit ändern kann.

Passive Sterbehilfe betrifft den Sterbebeistand und den Verzicht oder den Abbruch von lebensverlängernden Maßnahmen, wenn die Erfolglosigkeit als sicher angenommen werden kann. Dem Tod wird sein natürlicher irreversibler Verlauf gelassen. Der Arzt hat die Pflicht zu heilen nicht aber die Pflicht, Leiden zu verlängern. Heilen heißt, das Leben des Kranken zu verbessern. Zum Leben gehört das Sterben, da es das Leben natürlich beendet. Die Heilaufgabe des Arztes besteht am Ende des Lebens deshalb darin, das Sterben des Patienten zu erleichtern im Sinne der ars moriendi, der Kunst des Sterbens im Mittelalter. Hier kann die Technik, welche die Erhaltung eines zerstörten Körpers ermöglicht, hinderlich sein. Im Rahmen dieses Heilauftrages darf der Arzt aber nicht den Tod des Patienten herbeiführen, da damit das Sterben nicht erleichtert, sondern beendet wird. Der Arzt soll das Sterben des Patienten begleiten, er darf es aber nicht bestimmen.

Aktive Sterbehilfe, die absichtliche und aktive Beschleunigung des Todeseintrittes, ist abzulehnen. Sie ist nach dem Strafgesetzbuch (
StGB) immer strafbar, sowohl auf Wunsch des Patienten (§ 216 StGB) aber auch ohne Begehren des Patienten (§ 212 StGB), sei es aus Mitleid oder vorsätzlich. Die Aufgabe des Arztes ist Leiden zu lindern und nicht das Leben zu beenden!

Indirekte Sterbehilfe ist eine unbeabsichtigte Folge des Sterbebeistandes. Ist die primäre Absicht die dringend notwendige Hilfe für den Patienten um zum Beispiel die Schmerzen zu lindern, so ist diese Behandlung sittlich und rechtlich, auch wenn dadurch der Tod beschleunigt wird (z.B. Atemdepression bei Opiaten). Ist aber diese Nebenwirkung das Ziel der Behandlung, hat der Arzt die ethischen und rechtlichen Folgen auf sein Gewissen zu nehmen.

Sterbebegleitung (Sterbebeistand) hat keine Lebensverlängerung zum Ziel, sondern dem Sterbenden durch Pflege und Seelsorge die physischen und psychischen Nöte des Sterbens zu erleichtern. Für den Arzt steht hier die Schmerzlinderung,
Depressionsbehandlung und psychotherapeutische Krisenintervention (Palliativtherapie, siehe Behandlungsabbruch) im Vordergrund.

Selbstmord: Der Arzt ist verpflichtet, dem Selbstmörder, der sich selbst in Lebensgefahr gebracht hatte, wieder zum Leben zu helfen. Des ist schon deshalb seine Pflicht, weil in dieser Situation der Betroffene seinen Willen nicht äußern kann und nicht zu unterscheiden ist, ob der Selbstmord ein Hilferuf zur Lösung von Problemen oder eine freie Willensentscheidung war.

Todesfeststellung: Besondere Bedeutung bekommt die Todesfeststellung bei Organtransplantationen, für die ein funktionierender Kreislauf des Spenders nötig ist, um die zu entnehmenden Organe funktionstüchtig zu erhalten. Organe können aber erst entnommen werden, wenn der Tod festgestellt ist. Es gibt keine Begriffsbestimmung des Todes oder des Todeszeitpunktes. Gleichwohl kann durch Anerkennung bestimmter Todessymptome (z, B.
Hirntod) rechtlich den Erfordernissen der Organtransplation (Organentnahme am Sterbenden) entsprochen werden. Als Kriterium des irreversibel geschädigten Körpers (klinischer Tod) wurde deshalb vom Weltärztebund der Hirntod gewählt (unwiderrufliches Aufhören aller Funktionen des gesamten Gehirns einschließlich des Hirnstammes, Deklaration von Sydney - Erklärung über den Tod, 1968). Der wissenschaftliche Beirat der Bundesärztekammer hat 1982 für Deutschland Entscheidungshilfen für die Kriterien des Hirntodes erarbeitet (letzte Fortschreibung 1998). Die Kriterien (Befunde) müssen von zwei Ärzten festgestellt werden, die unabhängig vom Transplantationsteam sind und von denen wenigstens einer Erfahrung in der Intensivbehandlung von Hirngeschädigten haben muss. Das Kriterium des Hirntodes fußt zwar auf neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen, ist aber nur ein Zeichen eines sterbenden Körpers und kein Beweis für den uns immer noch unbekannten Zeitpunkt des Todes des Menschen, des exitus letalis. Dies ist der Zeitpunkt, zu dem die Seele den Körper verlässt (exitus) und aus unserer vierdimensionalen Raumzeit in den zeitlosen unendlichdimensionalen Raum eingeht. Das bedeutet für den Menschen den Tod (letalis). Die Todesfeststellung für eine Organentnahme ist immer auch eine Entscheidung des Gewissens, zu der ein Arzt nicht verpflichtet werden kann.

Das
Transplantationsgesetz vom 5. November 1997 legt fest, dass eine Organentnahme nur vorgenommen werden darf, wenn der Sterbende dieser schriftlich zugestimmt hat. Hat der Sterbende schriftlich eine Organentnahme abgelehnt, darf eine solche nicht erfolgen. Hat der Sterbende keine Entscheidung getroffen, liegt die Zustimmung oder Ablehnung der Organentnahme bei den Angehörigen.

Kein Mensch hat einen Anspruch auf das Organ eines anderen. Er kann es nur als Geschenk annehmen. Schenken kann es nur der Besitzer, das ist der Sterbende.

Arzneimittelverschreibung